Unser Gehirn ist evolutionsbedingt darauf ausgelegt schnell zu bewerten, zu beurteilen und entsprechende Handlungsimpulse zu setzen. Unsere schnelle Beurteilung hat uns vermutlich vor dem ein oder anderen Säbelzahntiger entkommen lassen.
Es passiert uns andauernd, wir „be-urteilen“ unseren Gegenüber. So hört man vor einem Bewerbungsgespräch schon häufig die Empfehlung: denk dran, der erste Eindruck zählt! Psychologen belegen längst, dass wir schon nach den ersten 10 Minuten unseren Gesprächspartner in verschiedene Schubladen – Stereotype – wegsortiert haben. Je nach Persönlichkeit ist man an dieser Stelle reflektierter oder auch nicht – mancher hat eine ziemlich ganz genaue Vorstellung davon -eine sichere Gewissheit… – warum der andere etwas tut oder lässt… Ein ungefiltertes Zulassen dieser meiner Beurteilungen und Annahmen ist allerdings im zwischenmenschlichen Bereich nicht unbedingt immer zuträglich… Es kann einem selbst den Tag vermiesen, im Weg stehen oder Beziehung gar unmöglich machen, wie Paul Watzlawick wunderbar beschreibt:
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
(Aus: Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein)
Dinge annehmen, Menschen bewerten und beurteilen, das tun wir ständig und wir können zunächst nichts dagegen tun. „Es geschieht uns“. Gleichzeitig sollten wir wissen: unsere „Annahmen“ schaffen sehr oft Distanz. Paare, die schon lange zusammen sind können von unterschiedlichen „Annahmen“ übereinander ein Lied singen „sie tut ….immer “, „er macht….nie gern“. Und so wird die Box immer enger, in der man sich bewegt, ein Wort gibt das andere, wie in einem einstudierten Theaterstück. Leander Greitemann schreibt in seinem lesenswerten Buch Unfog you mind dazu
Je genauer du weißt, was du willst und was nicht, wen du magst und wen nicht, desto kleiner wird deine Welt.“
Es kann für meine Beziehungen einen Unterschied machen, wenn ich mir meiner Schubladen und Gedankenketten, a la „Mann mit dem Hammer“, bewusster werde und achtsamer meine Bewertungen wahrnehme. Unsre Annahmen können so potenziell noch mal auf Richtigkeit überprüft werden. Diese innere Offenheit schafft vielleicht Nähe und lässt möglicherweise auch ganz neu Verbindung entstehen. Vielleicht klappt’s dann auch (wieder) mit dem Nachbar. Es ist zudem nicht ausgeschlossen, dass mein Partner oder meine Partnerin in dem ein oder anderen Bereich doch nicht so ist … wie ich schon immer dachte. Kannst Du ja heute Abend mal drüber nachdenken.